Eintrag 5.2: Schulumzug in Kandal 2
Dass sich das Leben auf dem Land stark von dem in der Hauptstadt unterscheidet, brauche ich euch ja wahrscheinlich nicht sagen. So richtig bewusst wurde mir dieser Unterschied auf meinem ersten mehrtägigen Trip in die „Provinz“: Vom 15. bis 17 Oktober ging es für mich mit meiner Arbeit aufs Land. Ich habe meine Kollegen zwar schon zuvor bei Tagestrips in die Provinz begleitet, doch dies war mein erster mehrtägiger Aufenthalt in einem kambodschanischen Dorf. Hier ist Teil zwei meines kleinen Erlebnisberichts:
Donnerstag, den 16. Oktober 2025:
Nach dem Schulumzug treffen Visal und ich uns zum Mittagessen mit einer jungen Frau, die für die örtlichen Behörden arbeitet. Sie hat erst letztes Jahr die Schule beendet und wollte eigentlich Lehrerin werden. Weil sie zum Studium aber wegziehen müsste und sich um ihre alleinstehende Mutter kümmern will, arbeitet sie in der Verwaltung in ihrem Heimatort. Dort kooperiert sie auch mit KCD.
Weil die Frau kein Englisch spricht, kann ich mich leider nicht am Gespräch beteiligen. Stattdessen genieße ich mein Essen und den Ausblick auf den Mekong. Das Restaurant befindet sich nämlich direkt am Fluss.
Blick vom Restaurant auf den Mekong
Der Nachmittag ist frei, was mir sehr entgegenkommt. Ich bin ziemlich müde. Auf dem Rückweg zu unserer Unterkunft treffen wir beim Gemeindehaus auf ein paar Kollegen, die ebenfalls in der Provinz unterwegs sind. Zurück bei unserer Unterkunft zeigt uns unser Gastgeber seinen Garten. Im Garten baut er Gemüse, Salat und Papayas an, welche er an Händler verkauft. Für seine Erzeugnisse bekommt er allerdings nur einen Bruchteil, von dem Preis für den seine Produkte auf dem Markt verkauft werden. Sein Grundstück grenzt direkt an den Mekong. Weil der Fluss dieses Jahr zur Regenzeit besonders stark angeschwollen ist, wurden seine Papayapflanzen überflutet und sind zum Großteil umgekippt. Er hofft wenigstens ein paar Pflanzen verkaufen zu können.
Der Garten unseres Gastgebers
Im Vordergrund ist der überflutete Teil des Gartens zu sehen, wo eigentlich Papayas wuchsen. im Hintergrund liegt ein Schiff vor Anker
Direkt hinter dem Grundstück steht ein Schiff, dass hier für ein paar Tage vor Anker liegt. Ich hatte schon vorher vom Restaurant aus die vielen Schiffe gesehen. Einige sind sicherlich Handelsschiffe, die unter kambodschanischer oder vietnamesischer Flagge Waren transportieren. Andere Pumpen Sand aus dem Mekong heraus. Ich möchte noch mehr dazu recherchieren, aber ich vermute, dass der Sand in Länder, wie Singapur und Vietnam exportiert wird, wo er zur Aufschüttung von Inseln dienen könnte. Auch das Schiff, dass vor unseres Gastgebers Garten liegt, ist so ein Schiff. (Falls euch das Thema interessiert, findet ihr in diesem Artikel mehr Informationen über die "Sandindustrie" und die Folgen dieser in Kambodscha: https://www.mekongeye.com/2023/05/01/cambodias-appetite-sand )
Unser Gastgeber pflückt uns zwei der verbliebenen Papayas, die wir genüsslich im Schatten verspeisen. Vielleicht bilde ich es mir ein, aber mir kommt es vor, als könnte ich eine erdige Note, das Aroma des Flusswassers, schmecken. Während wir die Papayas essen, kommen drei Kollegen von KCD auf das Grundstück und grüßen uns. Auch sie sind zurzeit für ein Projekt in der Provinz. Wir quatschen ein wenig, dann müssen sie weiter. Bald darauf fängt es an zu Regnen, oder besser gesagt: zu schütten. Es regnet nicht nur „cats and dogs“, wie es die Engländer sagen würden. Nein, es regnet Elefanten. Während es regnet, pflückt unser Gastgeber im Gewächshaus reifen Salat. Wir quatschen ein bisschen mit seinen kleinen Kindern. Der Sohn bastelt aus Bambus, Styropor und Gummi ein kleines Schifflein und lässt es in der Regentonne losschwimmen. Das Boot wird von einem „Schaufelradmotor“ angetrieben, einem kleinen Holzstück, dass mit einem Gummi am Boot befestigt ist und aufgezogen werden kann. Ich bin begeistert. Ansonsten nutze ich den Nachmittag um ein wenig Khmer zu üben.
Kambodschanisches Spielzeugboot - Marke Eigenbau
Am Abend sind wir wieder bei der Familie vom Vortag zum Essen eingeladen. Das Essen ist natürlich wieder sehr lecker. Dieses mal sind aber deutlich mehr Familienmitglieder da. Denn morgen findet die Verlobung der Tochter statt. Über einem Feuer im Garten köchelt „kambodschanischer Porridge“ (Suppe mit Reis und Fleisch). Die Männer sind draußen, kümmern sich um das Feuer und trinken Bier während die Frauen im Haus dabei sind Reiskuchen zu machen. Beim Essen unterhalten wir uns mit dem glücklichen Paar. Danach wird uns das Nachbarhaus gezeigt, in dem die Schwester der bald Verlobten gemeinsam mit ihrem Freund Tischdekoration und Snackteller für morgen vorbereitet. Der ganze Boden ist voll von Tellern, auf denen Obst, Bier- und Coladosen stehen. Morgen werden diese Teller auf den Tischen sein.
Der Freund der Schwester der zukünftig Verlobten (ganz schön sperrige Formulierung, aber wie soll ich es sonst beschreiben) erzählt uns, dass er diesen Sommer als Soldat beim Grenzkonflikt gegen Thailand eingesetzt wurde. Eigentlich ist er Polizist und verfolgt Drogenhändler. Aber weil die kambodschanische Armee sehr klein ist, wurde auch er eingezogen um gegen Thailand zu kämpfen. Interessanterweise wurde er schon mehrere Monate bevor die Schießereien an der Grenze begonnen haben zum Militärtraining eingezogen. Die Regierung muss also schon etwas geahnt haben?
Auf seinem Handy zeigt uns der junge Mann Aufnahmen, die er im Kriegseinsatz gemacht hat. Darauf sieht man Raketen, die von einem LKW abgefeuert werden und seinen Kameraden, der aus einem Versteck heraus mit einem Maschinengewehr in die Nacht schießt. Die drei Tage, die unser Freund im Krieg verbracht hat, waren sehr belastend für ihn. Er hatte viel Angst vor den Geschossen und konnte während seines Einsatzes auch nachts nicht schlafen. Mittlerweile möchte er seinen Dienst bei der Polizei an den Nagel hängen. Es sei für ihn zu gefährlich und er müsse ja auch für seine Familie da sein.
Natürlich habe ich die Nachrichten über den Grenzkonflikt zwischen Thailand und Kambodscha in den Medien gesehen. Aber es geht einem besonders nahe, wenn man Menschen trifft, die direkt vom Konflikt betroffen sind. Auch wenn die Waffen zum Glück wieder schweigen, sind die Auswirkungen für die Menschen und die Gesellschaften auf beiden Seiten sicherlich immens.
Freitag, den 17. Oktober 2025
Am nächsten Morgen müssen wir wieder früh aufstehen. Das Programm ähnelt dem vom Vortag. Diesmal ist allerdings die Schule in Kbob Ateav, der Gemeinde in der wir auch übernachtet haben, dran. Wieder versammeln sich Schüler, Lehrer und Gemeindevertreter vor dem Gelände einer Grundschule – und wieder geht es mit lauter Musik auf Mopeds durchs Dorf. Wie schon am Vortag ist es meine Aufgabe den Umzug zu photographieren. Nach dem Straßenumzug unterhalten Visal und ich uns mit ein paar jugendlichen Mädchen, die die Aktion initiiert und mitorganisiert haben. Die Mädchen sind Mitglieder eines von KCD geleiteten Child Clubs. Ich darf auch das Bewegungs- und Koordinationsspiel Shi-Ha-Tsu anleiten, welches ich aus Theaterworkshops in Deutschland kenne. Weil die Jugendlichen fast kein Englisch können, übersetzt Visal.
Schulumzug in Kbob Ateav
Nach dem Umzug gibt es leckeren Reiskuchen!
In Kbob Ateav arbeiten alle zusammen, wenn es um Bildung geht - selbst die Polizisten sind junggeblieben ;)
Generell finde ich es erstaunlich, wie niedrig die Englischkenntnisse der meisten Menschen auf dem Land sind. Natürlich ist es verständlich, dass manche ältere Menschen, die keine Schulbildung haben kein Englisch können. Doch selbst junge Kambodschaner, die auf eine öffentliche Schule gegangen und dort einen mit dem Abitur vergleichbaren Abschluss haben, können oft nur rudimentäres Englisch. Dabei wird auch an den öffentlichen Schulen Englisch unterrichtet. Viele Leute haben mir erzählt, dass der Unterricht sehr theoretisch sei. Schüler müssten Grammatik und Vokabeln pauken, das Englischsprechen werde aber nicht genug gefördert. Mein Kollege meinte auch, dass manche Schüler eigentlich Englisch sprechen könnten, aber zu schüchtern seien und Angst hätten Fehler zu machen.
Ich denke, dass auch die Schulmaterialien eine Rolle spielen:
Am ersten Tag, als wir in K’orm Samnor waren, wurden mir voller Stolz Englischbücher gezeigt, die KCD finanziert hatte und ich durfte mit den Schülern ein wenig Englisch üben. KCD hatte für die Schule eine kleine Bibliothek mit Schulmaterialien, darunter auf Englisch übersetzte kambodschanische Märchen, gestellt.
Die Englischbücher waren allerdings voller Grammatikfehler. Außerdem war das Vokabular hochgestochen und für den Alltag von geringem Nutzen. Beim Vorlesen eines auf Englisch übersetzten Märchens kam ich immer wieder ins Stocken. Es fühlte sich falsch an, mit den Kindern einen Text zu lesen, von dem ich wusste, dass er fehlerhaftes Englisch enthält.
Gleichzeitig finde ich es wichtig anzumerken, dass ich auch viele Kambodschaner getroffen, die sehr gutes Englisch sprechen. Diese kommen aber meistens aus der Stadt und/oder hatten privaten Englischunterricht. Das öffentliche Schulsystem hat aber offensichtlich Probleme, wenn es um Fremdsprachenunterricht geht.
Aber zurück nach Kbob Ateav!
Nach dem Umzug fahren wir wieder zum Haus der Gemeindevertreterin und besuchen die Verlobungsfeier ihrer Tochter. An schick geschmückten Tischen essen, trinken und quatschen zahlreiche Familienmitglieder, sowie Leute aus dem Dorf. Auf den Tischen stehen Töpfe mit Reis, Suppen, Fleisch und Fisch. In Kambodscha beginnen Verlobungsfeiern in der Regel früh morgens und enden bereits gegen Mittag, Deswegen sind wir spät dran und die meisten sind schon fast fertig mit dem Essen. Wir sitzen an einem Tisch mit lauter älteren Damen, eine kenne ich, weil sie auch mit KCD zusammenarbeitet. Das Essen ist sehr lecker.
Die freudige und entspannte Atmosphäre erinnert mich an Familienfeiern in Deutschland. Was mich allerdings überrascht ist, dass der Boden voller Müll ist. Die Papiertücher, Essensreste und leeren Getränkedosen bilden einen krassen Kontrast zu den schick dekorierten Tischen.
Nach dem Essen fahren wir zu unserer Unterkunft und packen unsere Sachen. Bevor wir zurück nach Phnom Penh fahren, treffen wir uns aber noch einmal mit den Jugendlichen aus K’orm Samnor, mit denen wir uns schon zuvor unterhalten haben. Wir gehen in einem Restaurant essen, in dem man koreanische Nudelsuppe in sieben verschiedenen Schärfegraden bestellen kann. Ich wähle die Stufe zwei und bekomme eine angenehm scharf-würzige Suppe. Eine der Jugendlichen hat den Schärfegrad sieben bestellt. Ich probiere – und muss fast weinen.
Wunderschöne Landschaft auf dem Weg zurück nach Phnom Penh
Danach geht es für uns zurück nach Phnom Penh. Auf dem Weg halten wir wieder an der Brücke an und genießen die Aussicht über überflutete Reisfelder, die aussehen wie die Küste. Vermutlich ziehe ich mir dort auch einen Insektenstich zu, der sich in den nächsten Tagen entzünden werden wird. Das weiß ich aber zu dem Zeitpunkt noch nicht.
Einen weiteren Stopp machen wir an einer Eisdiele kurz vor Phnom Penh. Nach etwa dreieinhalb Stunden Fahrt kommen wir in der Hauptstadt an. Es ist Freitag, es ist Wochenende!
Nicolas Minke
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