Eintrag 5.1: Schulumzug in Kandal 1

Dass sich das Leben auf dem Land stark von dem in der Hauptstadt unterscheidet, brauche ich euch ja wahrscheinlich nicht sagen. So richtig bewusst wurde mir dieser Unterschied auf meinem ersten mehrtägigen Trip in die „Provinz“: Vom 15. bis 17 Oktober ging es für mich mit meiner Arbeit aufs Land. Ich habe meine Kollegen zwar schon zuvor bei Tagestrips in die Provinz begleitet, doch dies war mein erster mehrtägiger Aufenthalt in einem kambodschanischen Dorf. Hier ein kleiner Erlebnisbericht:

 

 Mittwoch, den 15. Oktober 2025: Anreise

Gemeinsam mit meinem Kollegen Visal fahren wir mit einem vollgepackten Moped raus aus der Hauptstadt in die Provinz Kandal. Während man in Deutschland relativ schnell aus den Städten rauskommt und die Landstraße von Feldern, Wäldern und zu Dörfern gesäumt ist, fragt man sich in Kambodscha nach einiger Zeit, wann man denn endlich die Natur sieht. Obwohl man die Hauptstadt schon längst hinter sich gelassen hat, reihen sich links und rechts der Straße ununterbrochen Häuser, Cafés, Schulen und Pagoden. Nur ab und zu sieht man für wenige Augenblicke den Bassac-Fluss oder Reisfelder hinter den Häusern. Ein Blick auf Google-Earth ist aufschlussreich: Entlang der großen Straßen reihen sich ewig lange Straßendörfer aneinander. Hinter den Häusern beginnen meistens direkt Reisfelder, aber als Reisender kann man sich schon fragen, wo denn die Natur ist.

Nach etwa zwei Stunden fahren wir über eine Brücke über den Bassac-Fluss, welcher sich von Phnom Penh Richtung Süd-Osten durchs Land schlängelt. Auf der anderen Flussseite sehe ich sie endlich: die Natur. Links und rechts der Straße liegen riesige überflutete Felder, die aussehen wie Seen. Ab und zu fahren wir auch an Bananen- und Mangoplantagen vorbei. Nur eine kleine Siedlung passieren wir in diesem Abschnitt. Die Straße ist frisch geteert, aber die kleinen Hütten, die auf Stelzen über den überfluteten Feldern neben der Straße stehen, sehen klein und etwas heruntergekommen aus. Am Ortsanfang steht eine Moschee, vermutlich wohnen hier also die Cham, eine muslimische Minderheit, die in Kambodscha vor allem als Fischer in der Nähe von Flüssen lebt. Die Cham hatten vor Jahrhunderten ein eigenes Königreich mit dem Namen Champa, welches aber in einer Reihe von Konflikten zwischen den Khmer und den Vietnamesen zerrieben wurde. Heute stellen die Cham eine Minderheit da, deren Rechte zwar geschützt sind, die aber oft finanziell marginalisiert sind. Im Gegensatz zu den meist buddhistischen Khmer sind die Cham muslimisch, das Zusammenleben zwischen den Religionen ist aber harmonisch. Meine Organisation arbeitet unter anderem auch mit den Cham zusammen, um die Bildungsmöglichkeiten für diese zu verbessern.

Auf unserem Weg halten wir mehrmals an, um die Natur zu genießen. An einer Brücke, an der wir halten, komme ich mir fast vor, wie an der Ostsee. Auf der linken Brückenseite wird geangelt, auf der rechten anderen gebadet. Vögel, die mich an Möwen erinnern, fliegen umher, durch die starke Strömung und den Wind schlägt das Wasser Wellen. In der Ferne leuchtet die untergehende Sonne gelborange.

  

 Ostseefeeling in Kambodscha

 

Mangoplantage am Straßenrand 

Das idyllische Dorf Kbpob Ateav - die Wolken sind allerdings Rauch von verbranntem Müll

Nach einer weiteren halben Stunde Fahrt kommen wir in Kbpob Ateav, einem Dorf in der Provinz Kandal, dass etwa zehn Kilometer von der vietnamesischen Grenze entfernt ist, an. Bei einer Frau von den „Local Authorities“, die also als eine Art Gemeindevertreterin bei den örtlichen Behörden arbeitet, werden wir freundlich zum Abendessen aufgenommen. Es gibt typisch kambodschanisches Essen: Reis, Fleisch und eine Suppe. Auch ihre Familie treffen wir. Nach dem Essen zeigt sie uns eine schön dekorierte Halle im Nachbarhaus. Ihre Tochter hat in zwei Tagen ihre Verlobung, die Vorbereitungen sind also längst im Gange.

Nach dem Essen fahren wir zu unserer Unterkunft für die nächsten zwei Nächte. In dem Haus eines Gemüsebauers nur wenige Häuser entfernt, haben wir ein Zimmer mit zwei Matratzen auf dem Boden. Nach dem langen Tag bin ich so müde, dass ich mich sofort auf die Matratze fallen lasse und einschlafe. 

 

Donnerstag, den 16. Oktober 2025: Schulumzug

Am nächsten Morgen müssen wir früh aufstehen. Um 8 Uhr morgens findet in der Nachbargemeinde K’orm Samnor eine Veranstaltung statt, an der wir teilnehmen. Eigentlich hatte ich verstanden, dass wir an diesem Tag ein jährlich stattfindendes Treffen mit örtlichen Behörden aus verschiedenen Gemeinden besuchen sollen. Deshalb bin ich etwas überrascht, als wir zu einer Grundschule fahren und dort auf ganz viele Schüler in Schuluniform treffen. Es ist Oktober und eigentlich sind in Kambodscha von September bis November die langen „Sommerferien“ (die hier natürlich nicht Sommerferien heißen).

Ich erfahre, dass heute eine Art Schulparade stattfindet, bei der Schüler, Lehrer und Leute von den „Local Authorities“ (Lokalpolitiker oder Gemeindevertreter?) auf Mopeds durchs Dorf fahren um „Werbung“ für die Schule zu machen. In Kambodscha gibt es zwar eine Schulpflicht, jedoch gibt es für Eltern keine Konsequenzen, wenn sie ihre Kinder nicht zur Schule schicken. Viele Kinder brechen deshalb die Schule vorzeitig ab, um Geld zu verdienen. Der Straßenumzug soll die Eltern daran erinnern, ihre Kinder für die Schule anzumelden. Hierfür haben sie ein fünfzehntägiges Zeitfenster, welches am Tag der Parade begonnen hat. Visal und ich sind als Vertreter von KCD auch dabei. Unsere NGO unterstützt diese Schulumzüge und stellt zum Beispiel Snacks für die Teilnehmer. Auf Mopeds und auf von Motorrädern gezogenen Anhängern geht es durchs Dorf. Ganz vorne fährt ein älterer Mann. An seinem Moped ist ein Lautsprecher angebracht, aus dem Kinderlieder ertönen. Die Kinder sitzen entweder auf Anhängern, die von Motorrädern gezogen werden, oder fahren (meist ohne Helm) auf ihren eigenen Mopeds. In Deutschland würde man niemals elfjährige Kinder am Mopedfahren sehen, hier ist es aber ganz normal. 

 

 

 

  Straßenumzug für die Bildung

 

Weil sich in Kambodscha das Leben meistens draußen im Garten abspielt, wird unser Umzug von vielen gesehen. Die meisten Dorfbewohner schauen uns interessiert hinterher. Manche Kinder winken sogar. Meine Aufgabe ist es den Umzug zu photographieren. Visal fährt das Moped und ich sitze hinten drauf. Vom fahrenden Moped aus Photos zu machen fühlt sich richtig professionell an. Manchmal fahren wir neben den anderen her, dann wiederum überholen wir den ganzen Tross und finden am Straßenrand einen guten Ort, um den Umzug von vorne zu photographieren. 

 

 

 Ausblick auf dem Mekong 

Das Dorf K’orm Samnor befindet sich direkt am Mekong, den wir manchmal hinter den Grundstücken sehen können. Das Dorf befindet sich direkt an der Grenze zu Vietnam und wir fahren durch das gesamte Dorf, bis hin zum Grenzposten. Während wir meistens an kleinen dörflichen Häusern und Mangoplantagen vorbeikommen, bin ich überrascht davon, dass sich direkt neben der Grenze ein riesiges Kasino befindet. Auf der anderen Straßenseite wird gerade ein Hochhausblock gebaut. An vielen kambodschanischen Grenzposten befinden sich solche zwielichtige Anlagen. Während meiner Arbeit bei KCD habe ich erfahren, dass viele Jugendliche in den Grenzregionen die Schule vorzeitig abbrechen, um in den Kasinos Geld zu verdienen. 

 

 

 Mein Kollege Visal (links) und der Schulleiter (rechts) nach dem Umzug

Der Umzug endet wieder an der Grundschule von K’orm Samnor, wo wir zur Stärkung Reiskuchen essen, den KCD gestellt hat. Ich liebe die kambodschanischen Reiskuchen, von denen es unzählige Variationen gibt. (Manche sind in Bananenblätter eingewickelt und haben eine Kokosfüllung. Andere ähneln Quarkbällchen, sind aber mit einer süßen Bohnenfüllung versehen. Besonders lecker finde ich die Reiskuchen aus Siem Reap, die eine besonders cremig-flüssige Füllung haben und die äußerlich an Muffins erinnern.) 

 Die Fortsetzung dieses Artikels erscheint am 11.11.2025

 

Nicolas Minke 

Kommentare

  1. Sehr spannend und gut geschrieben. Ich lese deine Erlebnisberichte sehr gerne. 😊

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  2. Coole Sache! Ich freue mich auf die Fortsetzung :D

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